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Ein Belgier

Event ID: 380

02 July 1917

exact date?
50.82747206354903, 3.2658950397476594
Kortrijk

Source ID: 10

Die Erinnerungen der Mutter des roten Kampffliegers Kunigunde Freifrau von Richthofen. Im Verlag Ullstein - Berlin, 1937.

Ich erfuhr etwas aus Manfreds Munde, das des Aufzeichnens wert ist und vielleicht in der Geschichte des Weltkrieges seines-gleichen nicht hat. Mitte Juli hatte Manfred seinen Flugplatz dicht bei der Stadt Courtrai, in der sehr viel “unangenehmen reiche” Leute (“Lappenschlote”, wie sich Manfred ausdrückte) beieinanderwohen. Englische und französische Flieger fanden ein seltsames Vergnügen daran, diese Stadt mt ihren Bomben nachts heimzusuchen. Die armen (oder vielmehr reichen) Belgier hatten von ihren Verbündeten sehr zu leiden. Ellenlange Flüche prasselten zum Himmel. Doch der Zustand wurde immer bösartiger. Manfred selbst wurde Zeuge, wie ein Haus, neben dem er garade stand, durch eine französische Bombe wie ein Kartenhaus zusammenfiel, 15 Belgier unter seinen Trümmern begrabend. Die Erbitterung der Bevölkerung gegen die Bundesbrüder stieg auf den Siedepunkt. Die roten Flieger räumten nicht schlecht unter den verhaßten Bomberschmeißern auf. Manfred schoß unter anderem einem ab, der soeben große Verheerungen in den Straßen angerichtet hatte. Der eine Insasse des Doppeldeckers war tot, der andere nur leicht angeschossen. Er kam ins Lazarett Courtrai. Nun setzt die Tragikomödie ein. Es wurde ruchbar, daß der Verwundete weder Engländer noch Franzose war, sondern Belgier – und zwar Bürger der ehrenwerten, reichen Stadt Courtrai. Seine Ortskenntnis hatte er in wenig netter Weise gegen sein eigenes Rest misbraucht. Die Volkswut schnaubte und funkelte. So kam es, daß anderen Tags schon Leute mit Bratenrock und Zylinder, Hochröte der Empörung in den frisch rasierten, wohlgenährten Gesichtern, auf der Kommandantur erschienen und um Überlassung des Missetäters zum Zwecke liebevoller Weiterverarbeitung baten. Der also Begehrte verkroch sich zähneklappernd im Bett, er sah sich schon an dem nächsten Laternenpfahl hängen. Und nun die Pointe! Natürlich verweigerte die deutsche Behörde die Auslieferung des Bößewichts – da baten die Bratenröcke wenigstens um die Vergünstigung, ihrem Beschützer – nämlich Manfred – mit Fahne und Gesangverein eine Huldigung darbringen zu dürfen. Auch dieser Wunsch der bürgerlichen Seelen ging nicht in Erfüllung. Die Abordnung der feierlichen Männer schlich mit eingerollten Fahnen kopschüttelnd davon; betrübt über so viel Verständnislosigkeit und Inkulanz der deutschen Behörden… Ich habe Manfred selten so vergnügt gesehen wie jetzt, wo er von dieser Entgleisung der bürgerlichen Moral erzählte.

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