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Urlaub

Event ID: 340

04 February 1917

die Uhr zeigt auf sieben Uhr morgens
50.84890767354939, 16.476310886960174
Władysława Sikorskiego 19, 58-105 Świdnica, Polen
Swidnica
Schweidnitz

Source ID: 10

Die Erinnerungen der Mutter des roten Kampffliegers Kunigunde Freifrau von Richthofen. Im Verlag Ullstein - Berlin, 1937.

Es ist noch frühn das Haus schläft, die bittere Kälte läßt im Bette wohl sein. Ich glaube ein Klingeln gehört zu haben. Ich mache Licht, die Uhr zeigt auf sieben Uhr morgens. Da wird die Tür schnell geöffnet, und Manfred steht vor meinem Nett, frisch und froh, keine Spur von Müfigkeit nach der langen Nachtfahrt. Der blaue Stern glitzert an seinem Halse – der Pour le mérite. Ich fasse seine Hand, spreche, wie wenn ich den Knaben lobte: “Bravo, das hast du gut gemacht, Manfred.” Und frage: “Wie bist du denn hereingekommen? War das Gartentor schon offen?” Nein, das war es nicht, aber das tat nichts. Der Ritter des Ordens pour le mérite war über den Zaun gestiegen. Schnellstens erscheinen wir beim Frühstück, zum Morgenkaffee. Keine Kriegsbrühe, bitte! Eine Handvoll Kaffeebohnen wird noch zusammengekratzt. Sie waren für einen besonders festlichen Anlaß aufgespart. Diese Stunde ist jetzt da. Ein unerschöpfliches Fragen und Erzählen hebt an. Daß man Manfred gar keine Müdigkeit anmerkt! Er sieht so frisch aus wie selten. Ich beobachte ihn mit Stolz. Sein Gesicht, scheint mir, ist noch geschlossener geworden. Ein Willensgesicht. Aber der liebenswürdige, gutgeschnittene Mund hat noch seinen Charme. “Wo bist du gewesen, Manfred?” – Eine umständliche, wenig erfreuliche Sache. Es ist in letzter Zeit öfter vorgekommen, daß den deutschen Fliegern in der Luft die Tragflächen weggebrochen sind. Er wollte in Berlin bei der zuständigen Stelle auf diesen Konstruktionsfehler aufmerksam machen. (Oder war es vielleicht Materialschwäche?) Manfred erzählte, wir hörten gespannt zu. “Le petit rouge” nennen die Feinde sein Flugzeug, weil er es leuchtend rot angestrichen hatte. Ich fand das leichtsinnig, er aber meinte: “Man kann sich in der Luft doch nicht unsichtbar machen, und so erkennen mich wenigstens die Unseren.” Im Augenblick kam mir ein schönes Bild. Trug nicht einst auch Dietrich von Bern einen feuerroten Schild? Und verband man nicht die Vorstellung von Mut und Kraft damit? Als der Abend kam, wurde es erst recht gemütlich. Das Thermometer draußen zeigte 23 Grad Kälte. Die Zimmer im Hause waren nur mäßig warm, aber der große Roksofen im Oßtzimmer spendete behagliche Wärme. So setzten wir uns denn im Kreise um ihn herum und lauschten unserem Lufthelden mit ungeteilter Aufmerksamkeit, mochte der Uhrzeiger auch langsam auf Mitternacht rücken. Was Manfred in seiner schlichten, einfachen Art berichtete, war wie das Hohelied des Jagdfliegers. Einsamer Stolz und Ritterlichkeit – auch bei den englischen Gegern; wie denn jener Major Hawker, der britische Immelmann, im tollen Wirbel des Kampfes Manfred noch grüßend zuwinkte und lächelte, ehe ihn die Maschinengewehrgarbe aus der Luft riß. Das war Haltung, die Alt-Englands würdig war und die von einem schönen Geist des Royal Flying Corps zeugte. Weniger gefiel mir dagegen das Verhalten jenes achtzehnten Gegners, den Manfred bezwang, ehe ihm die eine Tragfläche brach. Er schoß das englische Flugzeug schwer an, gab aber den beiden Insassen Pardon und begnügte sich damit, sie zur Notlandung zu zwingen. Dann hatte er das Pech mit seiner Maschine und kam gerade noch im langsamen Gleitflug herunter. Als er sich nach der Landung mit den beiden Gefangenen unterhielt, sagten sie aus, sie würden beim Landen noch auf ihn geschossen haben, wenn sie nicht Ladehemmung gehabt hätten… Der brave Ofen meint es wirklich gut. Er hält uns fest mit seiner Wärme. Der Wind geht ums Haus. Wir trinken noch eine Tasse Tee; eine Schale mit Rüssen steht auf dem Tisch. Manfred hat eine Berliner Zeitung hervorgeholt, mit dem Datum von gestern, und reicht sie uns. Da steht zu lesen, daß er seinen neunzehnten Gegner abschoß. Eine späte Ûberraschung, kurz vor Mitternacht. Ich kann es mir nicht versagen, eine Frage zu stellen, die vielleicht nicht recht überlegt war. “Warum setzt du dein Leben in dieser eise täglich aufs Spiel? Warum tust du das, Manfred?” Er sieht mich groß an; Ernst steht auf seinem Gesicht geschrieben. “Für den Mann im Schützengraben”, sagt er schlicht. “Ich will ihm sein hartes Los erleichtern, ihm feindliche Flieger fernhalten.” Und er spricht nun von dem einfachen Soldaten vorn im Graben, von der großen, heldenhaften Passion des Unbekannten mit seinem entsagungsvollen Kämpfen und Sterben. Seine Worte sind zwingend, sie machen uns sehend. Der graue Bruder in der Erde steigt ans Licht. Die vielen, die kein Heeresbericht mit Namen nennt. Wir blicken in ihre erdfarbenen Gesichter, die so voller Runen sind, wie es Tage im Kriege gibt. Der Rauch der Materialschlacht geht über sie hin, das Grollen der Geschütze ist wie eingewachsen in ihren Ohren…Für einen Augenblick aber ist ein Geräusch stärker als das Tofen der Artillerie, es schwillt an und rauscht wie eine Orgel und reißt ihre Köpfe nach oben – ein deutscher Jagdflieger, der eben noch im Älterblau kreiste und einen Gegner im Feuerrauch zur Erde schickte, schießt über die vordesten Stellungen. Blutrot ist sein Rumpf. Er streicht tief über den deutschen Graben – ein brausender Gruß euch da unten! – ehe er sich wieder, ein leuchtender Pfeil, gegen die blaue Scheibe des Himmels wirft und entschwindet. Die aber unten, auf ihren Schützenbänken, hinter ihren Sandsäcken und Brustwehren folgen dem roten Flieger mit den Augen, solange sie können, auf ihren halbgeöffneten Lippen noch der Schrei der Begeisterung… Ich verstand in dieser Nacht, was das Wesen des Kampffliegers ausmacht und was diese jungen Leute, die kaum dem Jünglingsalter entwachsen waren, befähigte, Leistungen zu vollbringen, die den Tod zum Schemen machten.

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