skip to Main Content

MvR verwundet am Hinterkopf

Event ID: 374

06 July 1917

50.816141687498735, 3.2403333562695864
Markebeke
Marke

Source ID: 10

Die Erinnerungen der Mutter des roten Kampffliegers Kunigunde Freifrau von Richthofen. Im Verlag Ullstein - Berlin, 1937.

Wir waren gerade in Hamburg – Lothar wurde im Rollstuhl neben uns hergefahren – und sprachen davon, wie wunderbar es sei, daß es Manfred bisher nicht gehascht hatte. Er schien gefeit gegen die Kugeln; einmal ging ihm ein Schuß durch die beiden Pelzstieffel, ein andermal durch seinen Fliegerschal, wieder einmal durch Pelz- und Lederjacke – aber niemals ritzte es ihm die Haut. Wir erinneren uns, daß sich um den unverletztlichen deutschen Meisterflieger eine ganze Legende gesponnen hatte, wie sie den Romanen wohl liegt. In den französischen Schützengräbenn Unterständen, in den Kantinen und Etappen wußte man geheimnisvoll zu berichten, daß in dem roten Flugzeug (dem ‘diable rouge’, wie man es abergläubisch nannte) gar kein Mann säße, sondern – eine Jungfrau, eine Jeanne d’Arc der Lüfte. Während wir unsere Gedanken über die Unverletztichkeit tauschten, die wirklich vom Schicksal vorbestimmt schien, traf eine Meldung ein, die unsere Hoffnungen jäh über den Haufen warf. Manfred war verwundet, am Hinterkopf. Der Schädelknochen war eingeschlagen, ein fünfmarkgroßes Stück bloßgelegt. – Wie mag alles gekommen sein? Es ging wohl hart am Leben vorbei. Allmählich erst rundeten sich die Einzelheiten über seine Verwundung zu einem ganzen Bild. Manfred hatte am 6. Juli einem Geschwader von Bombenfliegern den Weg verlegt, ihnen den Rückzug abgeschnitten. Sie konnten ihm nicht mehr entrinnen. Gemächlich sah er zu, wie die englischen Beobachter zu feuern begannen; er entsicherte nicht einmal seine Maschinengewehre. In diesem Augenblick traf ihn der Schlag an den Hinterkopf. Es wurde wohl dunkel um ihn; der Schuß hatte den Sehnerv betäubt. Er versuchte, den Kopf in die Sonne zu reitzen, fühlte ihre Wärme auf seinem Gesicht brennen, doch als er die Augen aufmachte, erblickte er nicht einmal einen weißen Fleck. Eine dicke schwarze Brille schien sich vor seine Augen zu klemmen. Ein wilder Zusammenriß der gesamten Energie. Nochmals suchen die blinden Augen die Feuerscheibe der Sonne, die Lider zucken und unter letzter, gewaltiger Anstrengung tritt eine fahle Helligkeit in sein Blickfeld. Die Maschine setzt zur Notlandung an – warum folgt der Engländer nicht! – Zerrissenes Kratergelände breitet sich in der Tiefe aus, die Kräfte lassen nach, wieder schiebt sich eine schwarze Wand vor die Augen. Die Maschine rollt aus, steht, Manfred versucht, sich von seinem Sitz zu erheben und auszusteigen, dabei fällt er hilflos zu Boden; schnell herbeigeeilte Mannschaften umwickeln seinen Kopf mit ihren Verbandpäckchen. Die letzte Empfindung, die er hat, ist, daß sein Kopf auf einer Distel liegt, deren Stacheln in seine Haut dringen. Er hatte nich mehr die Kraft, sich herunter zu wälzen. Im Feldlazarett stellen die Ärzte fest, daß die Wunde etwa 10 cm lang ist, der Schädelknochen aber frei zu Tage liegt, auch eine Gehirnschütterung im Spiel war. Manfred berichtet mit schnell wieder erwachtem Humor: “Es ist doch gut, wenn man im Leben einen Dickkopf hat.”

This Post Has 0 Comments

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Back To Top