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Ilses Geburtstag

Event ID: 293

08 August 1914

51.64914584218983, 17.81639327607872
Ostrowo
Ostrowo

Source ID: 10

Die Erinnerungen der Mutter des roten Kampffliegers Kunigunde Freifrau von Richthofen. Im Verlag Ullstein - Berlin, 1937.

Heute war Ilses Geburtstag. Wir haben ihn nicht gefeiert (wer hätte jetzt Sinn dafür!). Wir nutzten den Tag, ihre Kleider zu nähen, die sie als Pflegerin vom Roten Kreuz braucht. Die Gesellschaftskleider wurden in Koffer verpacktn sie haben in dieser Zeit nichts zu suchen. Ilse will unbedingt zufassen, wo es nur geht, das liegt so in ihrer tätigen frohen Natur. Wenn es ernst und hart wird, werden wir solche kameradschaftlichen Menschen brauchen. Es ist überhaupt schön zu beobachten, wieviel guter Wille und Tatbereitschaft in unseren Frauen steckt. Jede möchte nach ihren Kräften etwas beitragen zum Gelingen der großen Sache. Viele Frauen und junge Mädchen gehen zu allen durchfahrenden Militärzügen nach dem Bahnhof, um die Soldaten zu stärken, Semmeln, Wurst, Zigaretten, Malzbier und Postkarten werden verteilt.Des Guten wird fast zuviel getan. Als ich das letztemal auf dem Bahnhof stand, waren die Soldaten schon so satt, daß man ihnen Eßbares förmlich aufdrängen mußte. Nur für Zigaretten und Bier bestand unentwegt Nachfrage. Man ist geradezu dankbar, wenn die Feldgrauen einen Wunsch äußern, den man ihnen erfüllen kann. Sie sollen doch das Bewußtsein haben, daß die Heimat ihnen aus vollem Herzen alles Gute erweisen möchte, ehe sie vielleicht die schrecklichsten Strapazen erleiden müssen. Die Garnison ist jetzt von ihren aktiven Truppen entblößt. Auch die 10. Grenadiere und das Artillerieregiment 42 sind abgerückt. Wie es hieß, nach dem Westen. Dennoch bietet die Stadt ein bewegtes, interessantes Bild. Statt der gewohnten straffen soldatischen Erscheinungen sieht man jetzt andere Gesichter, einzelne erst und dann viele, viele. Die Freiwilligen sind auf den Plan getreten. Ich war sehr gerürht, als ich vom Fenster beobachtete, wie sie singend durch die Straßen marschierten; manche erschienen mir noch wie Knaben, sie waren in die Uniformen noch nicht recht hineingewachsen, sie waren dem Elternhaus noch nicht entwöhnt. In ihren Augen jedoch und in der Art, wie sie singend marschierten, etwas schlenkrig, aber mit großem Schneid, war echte schöne Begeisterung. – Auch unser kleiner Diener Gustav Mohaupt ist zu den Fahnen geeilt und schreibt, wie glücklich er ist, bei den Jägern in Hirschberg angekommen zu sein. Wir leben still und lauschen gespannt auf jede Nachricht vom Kriegsschauplatz. Die Einnahme von Lüttich weckte großen Jubel. Eine nicht zweifelsfreie Sensation erregten die Zeitungen durch ihre Mitteilungen, geheimnisvolle Goldautos seien von Frankreich nach Rußland unterwegs. Dieser Millardenschatz auf Rädern wurde langsam zur Landplage. Straßen wurden gesperrt, Posten oder Feuerwehrleute hielten jedes Auto an. Hier und da knallte es sinnlos und leider nicht ganz unblutig. Etliche zehn Tage währte es, bis die Psychose verschwunden war. Statt ihrer zeigen sich die Brückenwachen von wachsender Nervosität befallen. Fast jede Nacht hört man Schießen. Underntags durchlaufen die unkontrollierbarsten Gerüchte die Stadt. Gestern war ein heimliches Liebespaar, das vielleicht in gänzlicher Verblendung die Brückenvorschriften übersehen hatte, das Opfer des Reglements. “Er” trug einen gehörigen Schrecken, “sie” einen leichten Armschuß davon. Es lief alles nog glimpflich ab. Von Manfred kamen 700 Mark an. Ich soll sie ihm aufbewahren. Er ließe keine Schulden hinter sich – so schreibt er -, sondern er habe noch einiges gespart. Das ist ganz sein Art. Sein äußeren und inneren Verhältnisse sind stets in einem Stande, daß er jede Stunde Rechenschaft ablegen kann. Er ist immer klar, geordnet und bereit.

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