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Verwundet

Event ID: 630

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06 July 1917

50.770168436308694, 3.0411227634729854
Wervicq

Source ID: 55

Ein Heldenleben, Ullstein & Co, 1920

An einem wunderbaren Tage (6. Juli 1917) unternahm ich mit meiner Staffel einen Jagdflug. Wir waren schon eine ganze Weile zwischen Ypern und Armentières herumgetobt, ohne so richtig zu einem Kampf kommen zu können. Da sah ich drüben ein Geschwader und dachte mir gleich: Die Brüder wollen ‘rüber. Sie kamen ‘ran an die Front, sahen uns, bogen wieder ab, und schon glaubte ich, ich hätte mir den Feind vergrämt. Deshalb mußte ich zu einer List greifen und flog weg; aber dauernd beobachtete ich das feindliche Geschwader. Es dauerte nicht lange, so sah ich sie wieder Richtung unserer Front fliegen.

Wir hatten ungünstigen Wind, d.h. also Wind von Osten her kommend. Ich ließ sie erst eine ganze Strecke hereinfliegen isn Land; dann schnitt ich ihnen den Weg zur Front ab. Es waren wieder meine lieben Freunde, die großen Vickers. Das ist ein englischer Flugzeugtyp mit einem Gitterrumpf; der beobachter sitzt vorn.

Nur langsam holten wir die schnellen Gegner ein. Wir hätten sie wahrscheinlich nie gekriegt, wenn wir nicht die grö225ere Höhe gehabt hätten und auf sie zu drücken konnten. Ich hatte nach einer ganzen Weile den hintersten so nahe vor mir, daß ich mir schon die Art und Weise, ihn anzugreifen, überlegen konnte. Unter mir flog Wolff. Ich erkannte an dem Tacken des deutschen Maschinengewehrs, daß er sich bereits in einen Kampf eingelassen hatte. Da drehte mein Gegner ab und nahm den Kampf mit mir auf. Aber immerhin noch auf eine so große Entfernung, daß man eigentlich von einem wehren Luftkampf noch nicht sprechen konnte. Ich hatte noch nicht einmal entsichert, soviel Zeit war noch, bis ich mich in den Kampf mit dem Gegner einlassen konnte. Da sah ich bereits, wie der Beobachter, wohl aus lauter Aufregung, schon schoß. Ich ließ ihn ruhig schießen, denn auf eine Entfernung von dreihundert Metern und darüber hilft selbst dem besten Schützen seine Schießkunst nichts. Man trifft eben nicht! Nun hatte er ganz auf mich eingedreht, und ich hoffte, in der nächsten Kurve hinter ihm zu sitzen und ihm was auf den Pelz brennen zu können. Da mit einem Male ein SChlag gegen meinen Kopf! Ich war getroffen! Für einen Augenblick war ich völlig gelähmt am ganzen Körper. Die Hände hingen mir runter, die Beine baumelten in die Karosserie. Das Übelste war: durch den Schlag auf den Kopf war der Gehnerv gestört, und ich war völlig erblindet. Die Maschine stürzte ab. Für den Augenblick durchzuckte mir den Kopf: Also so sieht es aus, wenn man abstürzt und sich kurz vor dem Tode befindet. Ich erwartete jeden Augenblick, daß die Flächen das Stürzen nicht aushalten und abbrechen würden.

Ich sitze allein in der Kiste. Die Besinnung hatte ich nicht für einen Augenblick verloren. Ich kriegte auch bald wieder die Gewalt über meine Arme und Beine, so daß ich die Steuer ergreifen konnte. Das Gas abstellen und Zündung herausnehmen machte ich mechanisch. Aber was half’s mri! Mit geschlossenen Augen kann man nicht fliegen! Ich hatte die Augen weit aufgerissen, die Brille weggeworfen, aber es war mir nicht einmal möglich, die Sonne zu sehen. Ich war volständig erblindet. Die Sekunden wurden mir zu einer Ewigkeit. Ich merkte, daß ich noch immer fiel. Die Maschine hatte sich wohl ab und zu gefangen, kam aber immer wieder ins Stürzen. Ich war wohl anfangs viertausend Meter hoch gewesen und konnte jetzt schon mindestens zweitausend bis dreitausend Meter gefallen sein. Meine ganze Energie zusammennehmend; sagte ich mir immer: “Ich muß sehen!” Ob mir die Energie dabei geholfen hat, weiß ich nicht. Jedenfalls, mit einem Male, konnte ich schwarze und weiße Flecke vor mir unterscheiden.Immer mehr und mehr bekam ich wieder mein Augensicht. Ich guckte nach der Sonne, konnte sie frei ansehen, ohne auch nur den leisesten Schmerz zu empfinden oder das Gefühl zu haben, ich würde geblendet. Ich sah wie durch eine schwarze, dicke Brille. Aber es genügte mir.

Mein erster Blick war auf den Höhenmesser. Er zeigte noch achthundert Meter an. Wo ich mich befand, ahnte ich nicht. Ichfing die Maschine wieder, brachte sie in eine normale Lage und setzte meinen Gleitflug fort. Nichts wie Granatlöcher waren unter mir. Einen großen Waldkomplex erkannte ich und konnte an diesem feststellen, ob ich drüben oder bei uns war. Zu meiner großen Freude sah ich, daß ich bereits ein ganzes Stückchen diesseits mich befand. Wäre der Engländer mir gefolgt, er hätte mich ohne Zucken abschießen können. Aber Gott sei Dank befand ich mich von meinen Kameraden beschützt, die sich mein Fallen und Stürzen anfangs gar nicht erklären konnten.

Ich wollte anfangs gleich landen, weil ich nicht wußte, wie weit ich es noch aushalten könnte, bevor ich ohnmächtig würde. Deshalb ging ich bis auf fünfzig Meter herunter, fand aber in den Vielen Granattrichtern kein Fleckchen, auf dem die Möglichkeit einer Landung war. Deshalb gab ich noch einmal Gas und flog Richtung Osten, in niedriger Höhe so lange ich noch das Bewußtsein hatte. Es ging anfangs ganz gut. Nach einigen Sekunden aber merkte ich wie die Kräfte nachließen und mir so sachte schwarz vor den Augen wurde. Nun war es höchste Zeit. Ich landete und konnte die Maschine sogar noch glatt hinsetzen, nahm dabei einige Pfähle und Telephonleitungen mit, was mir aber in diesem Augenblick ziemlich schnuppe war. Ich hatte sogar noch die Kraft, in meiner Maschine aufzustehen und wollte noch aussteigen. Dabei fiel ich heraus und hatte nun nicht mehr die Kraft aufzustehen, sondern legte mich gleich hin.

Sofort waren einige Leute zur Stelle, die den ganzen Vorgang beobachtet hatten und die an meiner roten Maschine erkannten, daß ich es war. Die Mannschaften wickelten meinen Kopf mit ihren Verbandpäckchen ein. Was nun geschah, war mir bloß noch in dunkler Erinnerung. Das Bewußtsein hatte ich nicht ganz verloren, aber ich befand mich in einem etwas döfig benommenen Zustande. Ich weiß nur noch, daß ich mich ausgerechnet auf eine Distel gelegt hatte und nicht mehr die Kraft fand, von dieser Stelle mich herunterzuwälzen, was auf die Dauer höchst peinlich war.

Ich hatte das Glück, meine Maschine neben einer Straße gelandet zu haben. Es dauerte nicht lange, da kam ein Sanitätsauto gefahren, in das ich gleich verfrachtet und nun in mehrstündiger Fahrt nach Courtrai in ein Feldlazarett geschafft wurde. Hier waren bereits die Ärzte vorbereitet und begannen nun ihre Arbeit.

Ich hatte ein ganz anständiges Loch im Kopf, eine Wunde von etwa zehn Zentimeter Länge, die man nachher zwar zusammenziehen konnte; an einer Stelle aber blieb der blanke weiße Knochen wie ein Taler groß frei liegen. Meinen Richthofenschen Dickkopf hatte ich wieder mal bewiesen. Der Schädel war nicht einmal durchschlagen. Mit etwas Phantasie konnte man bei der Röntgenaufnahme eine kleine Einbeulung feststellen. Ein Schädelbrummen das ich tagelang nicht los wurde, war weniger angenehm. In der Heimat wurde berichtet, ich läge mit schwerem Kopf- und Bachschuß im Lazarett, im übrigen ginge es mir aber recht gut.

Ich bin neugierig, wer eher in die Kiste steigen kann, mein Bruder oder ich. Mein Bruder befürchtete, ich bin es, und ich befürchtete, mein Bruder wird es sein.

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