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Einleitung von Bolko Freiherr von Richthofen zum Nachdruck des Roten Kamppfliegers von 1933.

Event ID: 483

21 April 1933

52.532013517448796, 13.371082578543202
Berlin

Source ID: 22

Der rote Kampfflieger von Rittmeister Manfred Freiherrn von Richthofen, 1933, Eingeleitet und ergänzt von Bolko Freiherr von Richthofen, mit einem Vorwort von Generalfeldmarschall Hermann Göring, Verlag Ullstein & Co, Berlin

Mein Bruder Manfred.

Immer wird der Mensch, selbst wenn ihm ein langes Leben beschieden ist, bis zum einem gewissen Grade ein Produkt seiner Herkunft und Erziehung bleiben. Wen aber ein unerbittliches Schicksal früh aus diesem Erdendasein abruft, in dessen Denken und Handeln wird das geistige und körperliche Erbteil seiner Eltern und weiteren Vorfahren, werden die Eindrücke seiner Kindheit und Jugendheit unverkennbar in Erscheinung treten. Und so war es auch bei meinem geliebten Bruder, Manfred Freiherrn von Richthofen, denn noch ehe er sein sechsundzwanzigstes Lebensjahr vollendet hatte, fand er den Heldentot. Wer sein Lebensbild zeichnen will, muß zurückgehen auf die Geschichte und die Art der Familie, der er entstammte, muß die Umgebung und die Menschen schilderen, mit denen er aufwuchs, deren Unschauungen ihm geläufig wurden und in ihm die Eigenschaften seines Charakters entstehen ließen, die ihn dann in jungen Jahren befähigt haben, so Außerordentliches für Volk und Vaterland zu leisten.

Die Familie Richthofen nahm ihren Ursprung aus Bernau in der Mark, das einst größer war als Berlin, jetzt aber nur noch ein kleines Nachbarstädtchen der Reichshauptstadt ist. Daselbst war vom Jahre 1543 bis 1553 Sebastian Schmidt, selbst aus Koblenz gebürtig und einst in Wittenberg ein Schüler Luthers, lutherischer Diakonus. Dem Brauche der Zeit und seinem geistlichen Beruf gemäß latinisierte er seinem Namen und nannte sich Faber. Von ihm und seiner Gattin Barbara Below, einer Ratsherrentochter aus Berlin, stammt das Geschlecht. Aber vermütlich hätte es niemals einen immerhin nicht gewöhnlichen Aufstieg genommen, wäre nicht dem Pastor Sebastian Faber ein ungefähr gleichaltriger Freund gegeben gewesen, der zu den hervorragendsten Männern der Markgrafschaft Brandenburg gerechnet werden muß. Dies war Paulus Schultze oder Schultheiß, der der Schulzenfamilie von Bernau entstammte und dessen Vater und Großvater, Andreas und Thomas Schultze, schon nachweisbar vor Beginn des 16. Jahrhunderts Bürgermeister zu Bernau gewesen sind. Auch Paulus Schultze latinisierte seinen Namen, und so heißt er in der Geschichte der Mark Paulus Praetorius. Er war geboren zu Bernau am 24. Januar 1521 und starb in der Moritzburg bei Halle bereits am 16.Juni 1565 als kaiserlich und kurfürstlich brandenburgischer Rat, erzbischöflich Magdeburger und Halberstädter Geheimer Kamerrat, Erblehnsherr und Gerichtsherr auf verschiedenen von ihm in seinem verhältnismäßig kurzen Leben erworbenen Besitzungen. Unter alten Bildern von ihm finden sich die Worte: “Vir prudens et orator gravissimus”, zu deutsch: “Ein kluger Mann und hervorragender Sprecher”.

Und wahrhafit, dieser Paulus Praetorius muß ein bedeutender und wohlstudierter Herr gewesen sein. Schon in jungen Jahren wurde er zum Informator der Markgrafen Friedrich und Sigismund von Brandenburg bestimmt, der Söhne des Kurfürsten Joachim II, die beide später Erzbischöfe zu Magdeburg wurden. Er gewann das Vertrauen seines kurfürstlichen Herrn im höchsten Maße, wurde in dessen engeren Rat berufen und zu den verschiedensten Missionen diplomatischer Art, insbesondere auch an den kaiserlichen Hof in Prag zu Ferdinand des Ersten Römischer Majestät gesandt. So kam es, daß der gleiche Kaiser Ferdinand I Oculi 1561 ihm selbst und seinen Erben ein adliger Wappen verlieh, das dem Namen Praetorius entsprechend einen Prätor, d.h. einen auf einem Richterstuhl sitzenden, schwarzgekleideten Richter darstellt. Aber Paulus Praetorius hatte keine männlichen Erben, und so entschloß er sich, den 1543 zu Bernau geborenen Sohn seines Freundes Sebastian Faber, Samuel Faber, oder wie er von da an hieß, Samuel Praetorius an Kindes Statt anzunehmen. Ihm hinterließ Paulus Praetorius aber nicht nur sein neu erworbenes Wappenschild, sondern auch seine zweifellos nicht unerheblichen Besitztümer. Auch Samuel Praetorius war ein gelehrter Mann, er siedelte nach Frankfurt an der Oder über und war daselbst Ratsherr, Stadtrichter und zuletzt Bürgermeister. Er starb 1605. Sein Sohn Tobias Praetorius (1576 bis 1644)vergrößerte das Vermögen der Familie und erwarb die ersten Güter in Schlesien, trat auch durch seine Ehe mit einer adligen Dame mehr und mehr aus dem Kreis gelehrten Patriziertums in den adligen Grundbesitzes über. Sein Sohn Johann Praetorius (1611-1664) übersiedelte ganz nach Schlesien und wurde durch Kaiser Leopold I 1661 in den erblichen böhmischen Ritterstand unter Hinzufügung des Beinamens von Richthofen versetzt. Von diesem Johann Praetorius von Richthofen stammt die ganze heute noch blühende Familie Richthofen ab. Sie ist von der Mitte des 17. Jahrhunderts an überwiegend in Schlesien, insbesondere in den Kreisen Striegau, Jauer, Schweidnitz und Liegnitz angesessen gewesen und bis zum heutigen Tage geblieben. So sehr die Familie dem Römisch-Deutschen kaiser zu Wien für alle ihr gewährte Hilfe und Auszeichnung dankbar war, der Ursprung aus der Mark Brandenburg lebte in ihr fort. Und als etwa ein Jaharhundert später Friedrich der Große Schlesien zu einer preußischen Provinz machte, schloß sich die Familie ausnahmlos dem neuen Herrscherhause an, das für sie ja ein altes war. Friedrich der Große belohnte diese Anhänglichkeit mit der am 6. November 1741 erfolgten Erhebung in den Freiherrnstand des Königreichs Preußen. Der weit überwiegende Teil der Richthofenschen Familie ist seit den Tagen de Erwerbs des ersten schlesischen Gutes landwirtschaftlich tätig geblieben. Der Bewirtschaftung und Erhaltung ihrer ausgedehnten Besitzungen haben die Generationen ihre Arbeit gewidmet, das Gemeinwohl aber dabei durch die Betätigung in der Provinzialverwaltung Schlesiens nicht außer acht gelassen. Und in Krieg und Frieden haben die AZngehörigen der Familie für die Verteidigung ihrer Provinz und des Königreichs ihre selbstverständliche Pflicht getan. Der General der Kavallerie, Manfred Freiherr von Richthofen, Pate meines Bruders, fürhte eine Armee im Weltkrieg. Aber dabei war doch in den Nachkommen der Ratsherren, Pastoren und Bürgermeister der Sinn für gelehrte Berufe keineswegs geschwunden. Und das Vorbild des Adoptivvaters Paulus Praetorius hat manches Mitglied der Familei in politische und diplomatische Berufe gefürht. Den Juristen ist heute noch der Name des Deutschrechtlers und Ordinarius der Universität Berlin, Karl Freiherr von Richthofen, geläufig, eines Spezialisten auf dem Gebiete des altgermanischen und insbesondere friesischen Rechts. Und Ferdinand von Richthofens großes Ansehen als einer der ersten Geographen nicht nur Deutschlands, sonder der Welt ist auchj jetzt, fast dreißig Jahre nach seinem Tode, unverändert geblieben, der Name dieses unerreichten Chinaforschers lebt heute noch in den von ihm bereisten und nach ihm benannten Gebirgen und Flüssen fort. Aber auch auf die politische Gestaltung der Geschichte unseres Vaterlandes haben bis in die allerneuste Zeit vielfach Mitglieder der Familie einen nicht unerheblichen Einfluß genommen. So der langjährige Preußische Staatsminister und Staatsekretär des Auswärtigen Amtes zu Zeiten der Kanzlerschaft des Fürsten Bülow, Oswald Freiherr von Richthofen, und in der Nationalversammlung zu Weimar wie in den Vorund Nachkriegsreichtagen die Freiherren Karl, Ernst, Hartmann und Praetorius von Richthofen.

Unsere nähere Familie hat sich in den vergangenen Jahrhunderten von dem Werdegang der anderen Linien – die Trennung der einzelnen Zweige erfolgte zu Beginn des 18. Jahrhunderts – nicht irgendwie wesentlich unterschieden. Auch unsere Vorfahren saßen auf den erworbenen und ererbten Gütern. Ihre Gatinnen holten sie sich überwiegend aus dem schlesischen Adel, wie aus den Familien von Reibnitz, von Heintze-Weißenrode und von Lüttwitz. Unsere Urgroßmutter war eine 1808 zu Dessau geborene Thecla von Berenhorst. Diese war eine Enkelin des Preußischen Feldmarschalls Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, des berühmten Alten Dessauers. Ihr Vater, Georg Heinrich von Berenhorst, herzoglich anhalt-des-sauischer Oberhofmeister, entstammte einem Liebesbunde des Fürsten Leopold mit einer jugendlichen Untertanin. Wenn man will, darf man vielleicht annehmen, daß das Blut des Siegers von Höchstadt, Turin und Kesselsdorf auch in seinen Nachfahren unverändert wirksam geworden ist. Unsere Großmutter hieß als Mädchen Marie Seip. Sie stammte aus einer mecklenburgischen Gutsbesitzers-familie hessischen Ursprungs, die mit der Familie Goethes in nahen verwandschaftlichen Beziehungen gestanden hat. Wir Enkelkinder liebten diese Großmutter, die ein Jahr vor Ausbruch des Weltkrieges verstorben ist, zärtlich. Zu unseren schönsten Jugenderinnerungen zählten die Ferienaufenthalte auf dem in der Nähe von Breslau gelegenen Gute Romberg unserer Großeltern. Wenn wir zu Ferienbeginn das von Schinkel erbaute Gutshaus betraten, pflegte die Großmutter uns mit den Worten zu empfangen: “Hier könnt ihr tun und lassen, was ihr wolt!”. Wir Jungens haben uns das nicht zweimal sagen lassen, und die Freuden des Landlebens, Reiten, Jagen, Schwimmen und alles, was sonst dazugehört, in vollen Zügen genossen.

Unser 1859 geborener Vater, Albrecht Freiherr von Richthofen, war der erste aktive Offizier unserer Linie und stand im Leibkürassierregiment zu Breslau. Dort sind auch meine beiden Brüder Manfred (1892) und Lothar (1894) geboren. Er mußte verhältnismäßig früh als Major seinen Abschied nehmen, da infolge eines Ohrenleidens der militärische Beruf für ihn eine Unmöglichkeit geworden war. Er hatte einen seiner Kürassiere, der beim Schwimmen mit dem Pferde in der Oder den Kontakt mit seinem Rosse verloren hatte, vor dem Tode des Ertrinkens gerette, indem er selbst stark erhitzt in voller Uniform von einer Brücke in den Fluß sprang. Die Erkältung, die er sich hierbei zugezogen hatte, führte leider zu einer nicht mehr zu behebenden Schwerhörigkeit. Unser Vater hat den Aufstieg und den Tod seines Sohnes Manfred noch erlebt und ihn verschiedene Male im Kriege, wo er als Ortskammandant eines Städtchens in der Nähe von Lille t¨tig war, bei seinem Geschwader besucht. 1920 ist er dann in Schweidnitz, wo sich unsere Eltern zur Ruhe gesetzt hatten und wo unsere Mutter heute lebt, zur ewigen Ruhe eingegangen. Unsere Mutter, die Hüterin und Bewahrerin des Andenkens ihrer gefallenen Söhne, hat aus ihrem Hause in Schweidnitz eine Stätte der Erinnerung an Manfred von Richthofen gemacht. Anläßlich seines fünfzehnten Todestages am 21. April 1933 sollen diese Räume, die mehr und mehr die Gestalt eines kleines Museums erhalten haben, dauernd der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Unsere 1868 geborene Mutter selbst stammt aus der in Schlesien reichbegüterten Familie Schickfus und Neudorff. Ihre Mutter, enie geborene von Falkenhausen, entstammt einer militärisch sehr bekannten Familie, deren Ahnherr der aus der inzwischen ausgestorbenen fränkischen Linie des Hohenzollernhauses stammende, mit einer Schwester Friedrichs des Großen verheiratete Markgraf Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach war.

Meine beiden Brüder Manfred und Lothar waren elf und neun Jahre älter als ich, und so beginnen meine Erinnerungen an sie erst mit dem Zeitpunkt, als beide unmittelbar vor dem Eintritt in die Armee standen. Aber meine Eltern haben mir so viel von den Jugentagen, namentlich Manfreds, erzählt, daß ich, ohne Gefahr zu laufen, irgend etwas Unrichtiges zu berichten, doch in der Lage bin, einzelne bezeichnende Züge aus seiner Kindheit und Jünglingszeit beizutragen.

Eine große Freude für meine Eltern ist es immer gewesen, daß Manfred von seinem ersten Lebenstage an eine besonders kräftige und gesunde Natur hatte. Nichts Schlechtes und Giftiges wollte an ihm haften, nicht einmal die Impfblattern sind bei ihm aufgegangen, so oft man es auch versucht hat. Er ist überhaupt eigentlich nur einmal in seinem Leben krank gewesen, und zwar an den Masern, und so hat er zu seinem eigenen tiefen Bedauern so gut wie niemals einen Schultag versäumt. Manfred hatte einen fabelhaft geschickten Körper. Schon als ganz kleiner Junge schlug er Purzelbäume, ohne die Hände zu gebrauchen. Er legte sie dabei wie ein Soldat stramm an die Hosennaht…

— Der Text wird hier mit einigen Anekdoten aus Manfreds Kindheit fortgesetzt. Ich habe sie separat in die Chronologie aufgenommen. Der Text endet mit den folgenden Sätzen.—

Viele hundertmal ist Manfred in die Lüfte gestiegen, oft drei- bis viermal am gleichen Tage. Er wußte wohl, daß ein jeder Mensch seine Achillesferse habe und daß auch er verwundbar sei. Aber von allen, die den Krieg mit ihm erlebt haben, wird es keinen geben, der an ihm jemals, wenn er sich anschickte, dem Feind entgegenzufliegen, etwas anderes bemerkt hätte als Siegesgewißheit und Glauben an sich und den Erfolg. Vielleicht mögen anfangs Ehrgeiz und Sportlust starke Triebfedern für Manfreds Entschluß gewesen sein, vom Sattel in den Führersitz seines weltberühmt gewordenen roten Kampfflugzeuges zu steigen. Je härter und schwerer aber die Kämpfe, je bedeutungsvoller der Luftkrieg für Deutschlands Schicksal und je größer so Manfreds eigene Verantwortung wurden, um so ernster wurde bei aller Heiterkeit und Zuversicht des Geistes sein unbeugsamer Wille, allein und ausschließlich das Beste zu tun und zu geben für Volk und Vaterland. Und das dulce et decorum est pro patria mori, das ihm einst seine Lehrer im Kadettenkorps, nicht immer zu seiner Freude, in den Lateinstunden gepredigt hatten, wurde zum Inhalt der kurzen Lebensspanne, die ihm von 1915 bis 1918 noch beschieden war.

Aber nun soll Manfred selbst das Wort nehmen und em Leser mit eigenen Worten sagen, was in jenen Jahren durch ihn und um ihn geschah.

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